Mord am weißen Raben

Drei junge Männer, seelisch verroht durch die Umstände ihrer Zeit, planten ein Attentat. Sie arbeiteten nicht allein, genossen die Protektion der OC, auf einen Staatsstreich hinarbeitend. Der Außenminister der Republik wurde als Opfer auserkoren. Sie planten, ihn zu überfallen. Ein Wagen aus Freiberg, Geld aus Frankfurt, ein Fahrer aus Hamburg und eine Waffe aus Schwerin wurden besorgt. Alles organisiert von den Drahtziehern eines klandestinen Netzwerkes. Feme war deren Spezialität. Kugeln oder Gift hatten bereits ihren mörderischen Dienst getan.

Die ideologisch Verblendeten lauerten ihrem Opfer auf. Sie folgten ihm, überholten dessen Wagen, ein Cabrio, eröffneten das Feuer und warfen Handgranaten. Der von fünf Kugeln Getroffene sackte in sich zusammen, schlug die Augen weit auf, doch brachte kein Wort heraus. Sein Fahrer kurbelte den Wagen an und raste zur Polizeiwache. Es war zu spät. Der Tod markierte eine Zäsur. Nicht nur für den Dahingemordeten und dessen Familie, sondern für eine ganze Nation, die kurz zu Leben begann. Denn der Schock über die Bluttat schweißte das Volk zusammen. Es wusste fortan, wo der Feind stand. Viele trugen zur Aufklärung bei, einer der Mörder wurde von der Polizei erschossen, sein Kompagnon beging Suizid, ein dritter empfing das Urteil des Staatsgerichtshofs.

Anlässlich des feierlichen Staatsbegräbnisses besann man sich der Einzigartigkeit des Mannes. Er leitete ein riesiges Unternehmen und wollte doch nur malen und philosophieren. Er war Industriekapitän und Sozialrevolutionär. Christus im Frack witzelten manche. Er war weder Krieger noch Pazifist, doch engagierte er sich sowohl für das Volk als auch für den Frieden. Er avancierte zum Retter des Vaterlandes und wurde doch als Erfüllungspolitiker gegeißelt. Sein Glaube machte ihn zum Ziel, sein Wirken machte ihn zum Helden. Er fehlte zu sehr. Mit ihm erstarb die Zukunft der Republik, das Ende der Demokratie zog am Horizont herauf und eine dunkle Ära brach sich Bahn.

 

Trumslagare

Ein schwedisches Start-up bietet einer mittelgroßen Stadt mit historischem Stadtkern, hanseatischer Tradition und maritimen Flair eine revolutionäre App an, um noch mehr Touristen anzulocken. Sie soll fesseln, locken und trommeln. Sie leitet durch alte, unterirdische Gänge. Solche gibt es zuhauf, war die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert doch eine der am stärksten befestigten Punkte Kontinentaleuropas. Wehrgänge, Geheimgänge, Fluchtgänge allerorten. Es lag keine genaue Karte vor, doch die Macher der App garantierten, via GPS alles im Griff zu haben. Man spielt in Zweier-Teams. Zunächst sind die Smartphones zu koppeln, dann steigt einer in die Finsternis hinab, während der andere dessen Laufwege überirdisch nachvollziehen, mitverfolgen und beschreiten kann. Die Stärke des Signals wird mittels Trommelschlägen auf dem Display angezeigt. Der Sender in der Unterwelt ist das Alpha, der Empfänger an der Oberseite das Omega.

 

Nun nutzen mehr und mehr Touristen diese Option, um den Bildungsurlaub aufzupeppen und sich einen kleinen Kick zu verschaffen. Ähnliche Ansätze werden beim Geocaching, in Rätselräumen oder in Dunkelrestaurants verfolgt. Es geht um das Neue, das Unbekannte und das Unberechenbare. Die Touren sind zuweilen sehr kurz, nach nur wenigen Minuten treffen sich die Spieler wieder. Manchmal dauert es Stunden, bis ein Akteur den dunklen Gängen entkommt. Es gibt jedoch Gerüchte, dass hin und wieder Leute verschwinden, nie wieder auftauchen. Sie seien längst weg, unbeobachtet ausgestiegen, schnell wieder abgereist oder essen gegangen, wird von offizieller Seite verlautbart. Einheimische behaupten jedoch, während der blauen Stunde in der Altstadt Dutzende Signale angezeigt zu bekommen. Vereinzelte Trommelschläge, deren Stärke schnell wieder abnimmt, aber doch für ein paar Minuten im System auftauchen. Sind es Echos der Vergangenheit, technische Störungen der Gegenwart oder Trommler der Zukunft? Anfang oder Ende vom Abenteuertourismus?

Klarheit des Augenblicks

Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde, aber es zu wissen und es wirklich zu erleben sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. In den letzten Wochen und Monaten waren die Maßnahmen, ergriffen zur Meisterung der Corona-Krise in Deutschland, immer weiter zurückgefahren worden. Geschäfte öffneten, Schulen nahmen den ordentlichen Betrieb auf, Restaurants luden zum Besuch ein und auch die Schutzmasken verschwanden allmählich wieder aus dem Stadtbild.

 

Doch der Anblick der geöffneten Türen der Universitätssporthalle erschien mir unvergesslich. Endlich durften auch Kontaktsportarten wieder betrieben werden, weswegen ich mich auch zur Halle begeben hatte, schlichtweg um Handball spielen zu können. Natürlich im Rahmen des Kursangebots des Hochschulsports. Allerdings auch, um die Leiterin des Kurses wiederzusehen. Eine begabte Kreisläuferin, eine absolut soziale Person und eine Frau mit dem dominierenden Wesenszug, ein Sonnenschein zu sein.

 

Nach Monaten der erzwungenen Kontaktlosigkeit mit eigenen Augen zusehen zu dürfen, wie sie die Horde wilder, junger, ungestümer, forscher und unbedarfter Studenten ohne jedwede Anstrengung in den Griff bekommt, um den Finger wickelt und sie anschließend – unter fachlicher Anleitung – ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen lässt, war mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Von Angesicht zu Angesicht kommunizieren zu können, stieg durch das Corona-Virus in der Wertschätzung der Menschen – explizit auch in der meinen.

 

Nur mittels eines Blickkontakts Verständigung über eine unausgesprochene Frage herstellen zu können, erscheint mir nunmehr fast schon wie Telepathie. Jedoch klappt der Austausch erstaunlich präzise, sofern man sich ein wenig kennt. Auf der selben Wellenlänge zu funken, schadet offenkundig auch nicht. Über Geschehnisse beim Sport oder im Freundeskreis auf die altmodische Art zu sprechen, hat jedoch auch seinen Charme. Vor allem aber die Hoffnung darauf, sie wieder in die Arme schließen zu dürfen, sie zu drücken und sie wissen zu lassen, wie sehr ich sie und ihre Arbeit wertschätze, ist das, was mich durch die Krise gebracht hat.

 

Umso mehr freue ich mich nun darauf, die Schuhe zu schnüren, die Backe an den Ball zu schmieren, mich zu dehnen und ihren Anweisungen gehorsam Folge zu leisten. Auf der Platte, versteht sich. Ich habe mal den Fehler begangen, ihr zu sagen, dass ich zu ihren Diensten stehe. Die lapidare Antwort war: Dort stünde ich auch sehr gut. Diese direkte Art, mit einem Lächeln verbunden, ist das, was ich wegen des Corona-Virus am meisten vermisst habe. Aus und vorbei!