Coup im Kampf um den Thron
(MH) Im Zuge der Durchführung der Europa- und Kommunalwahl am 26. Mai 2019 durften die Bürger der Hansestadt Wismar über die Zusammensetzung der Bürgerschaft entscheiden. Dass ein merklicher Wandel einsetzen würde, war bereits im Vorfeld zu erwarten. Die Bindungskraft der großen Volksparteien scheint auch auf regionaler Ebene zu schwinden, der positive bundespolitische Trend war den Grünen hold und die noch relativ neue politische Kraft AfD durfte mit Zugewinnen rechnen. So weit, so vorhersehbar. Die SPD wurde erneut stärkste Partei (mit zehn Mandaten), es folgten CDU (sechs Mandate) und DIE LINKE (fünf Mandate). Darüber hinaus entfielen sechzehn weitere Mandate auf sechs Parteien (Bündnis 90/Die Grünen (4), AfD (4), FWF (3), FDP (3), Freie Wähler und Piraten jeweils eins). Das Spektrum der politischen Meinungen erweiterte sich und diverse kleinere Fraktionen sorgen für mehr Diversität in der Bürgerschaft. Die 37 zu vergebenden Mandate wurden unter Bewerbern von neun verschiedenen Parteien, nicht alle genießen Fraktionsstatus, aufgeteilt.
Mit dem Wahlergebnis fiel den Mitgliedern der Bürgerschaft als erste Amtshandlung zu, den Königsmacher zu geben, denn es galt, den neuen Präsidenten der Bürgerschaft zu wählen. Eben diese Wahlentscheidung war ein kommunalpolitischer Paukenschlag, denn der alte Bürgerschaftspräsident, Tilo Gundlack, sollte auch der neue werden, wenn es nach der SPD gegangen wäre. Hierzu sind im Vorfeld der Wahl Absprachen mit CDU und Linkspartei getroffen worden. Diese drei Fraktionen verfügen über 21 Mandate in der Bürgerschaft, zwei mehr als nötig gewesen wären. Allerdings erhielt Tilo Gundlack im ersten Wahlgang am 27. Juni 2019 lediglich 16-Ja- bei 21-Nein-Stimmen. Dadurch wurde ein zweiter Wahlgang nötig, zu welchem sich überraschend eine Abgeordnete der Für-Wismar-Fraktion, die Jura-Professorin Sabine Mönch-Kalina, als Gegenkandidatin aufstellen ließ. Zur großen Überraschung der meisten politischen Beobachter setzte sie sich in diesem mit den nötigen 19 Stimmen durch, auf den Kandidaten der SPD entfielen lediglich 17.
Politisch pikant ist dies in mehrerlei Hinsicht. Nach Antworten auf Anfragen der Lokalpresse, unter anderem der Ostsee-Zeitung, ist davon auszugehen, dass die CDU-Fraktion von der geplanten großkoalitionären Zusammenarbeit mit der SPD abwich, die in den letzten Jahrzehnten gepflegt worden war und für Mönch-Kalina stimmte, weswegen sich die Stimmen von SPD, Linkspartei zusätzlich zweier Abweichler als unzureichend erwiesen, um Gundlack wieder ins Amt zu hieven. Darüber hinaus arbeiteten sowohl Abgeordnete der Grünen, der CDU, der FDP und der FWF mit den AfD-Vertretern zusammen, um den SPD-Kandidaten zu verhindern und die FWF-Bewerberin zu unterstützen. Dies ist umso interessanter, weil die bundespolitischen Positionen sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch von der FDP als weit von der AfD entfernt angesehen werden und die Parteivorsitzende der CDU erst kurz zuvor auf einen Parteitagsbeschluss verwiesen hat, der eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Hieraufhin ließ es sich der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Ralf Stegner, nicht nehmen, diesen, aus seiner Sicht unglaublichen, Vorgang bei Twitter zu kommentieren, was selbst in der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen wurde.
Der Hauptvorwurf der SPD richtet sich hierbei gegen das Demokratieverständnis des Bündnisses Mönch-Kalina und die demokratische Legitimation der neuen Bürgerschaftspräsidentin. Zum einen hatte Gundlack bei der Wahl 7897 Stimmen erhalten, wohingegen Mönch-Kalina lediglich auf 547 Stimmen kam. Des Weiteren musste sie in die Bürgerschaft nachrücken, nachdem Kathrin Gründemann ihre Wahl nicht angenommen hatte. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass sie lediglich 417 Stimmen auf sich vereinen konnte und demnach Mönch-Kalina den Vorzug erhalten sollte. Am 12. Juni 2019 wurde sie jedoch vom Für-Wismar-Forum entschädigt, indem ihr der Vorsitz desselben angetragen wurde. Wenn diese Begründung bei den Mitgliedern und Wählern des Für-Wismar-Forums Anklang findet, ist es erstaunlich, dass sie nur wenig später im Duell Mönch-Kalina gegen Gundlack nicht mehr zur Anwendung kam, denn der SPD-Kandidat hat vierzehnmal so viele Stimmen erhalten wie die FWF-Kandidatin und sogar fast doppelt so viele wie das Gesamtergebnis des FWF bei dieser Wahl ausweist. Wahrscheinlicher ist eher, von einer Fehlkalkulation im Vorfeld der Wahl seitens des FWF auszugehen. Da die Für-Wismar-Fraktion in der Bürgerschaft im Vergleich zu 2014 um einen Sitz geschrumpft ist, liegt die Annahme nahe, dass dieser für Mönch-Kalina vorgesehen war. Nach der Wahl musste umdisponiert werden, um dennoch das Bündnis schmieden zu können, welches der SPD die Besetzung dieses wichtigen Postens in der Hansestadt unmöglich machen sollte.
Hier scheint sich die Geschichte zu wiederholen, da der Für-Wismar-Fraktion dieses Kunststück nun bereits zum zweiten Mal gelungen ist. Im Jahre 2009 hatte die SPD ebenfalls die Bürgerschaftswahlen gewonnen und am 07. Juni 2009 inthronisierte sie Gerd Zielenkiewitz erneut zum Präsidenten der Bürgerschaft. Das Amt, welches er bereits seit 1990 bekleidete. Fast auf den Tag genau ein Jahr später, am 08. Juni 2010 gab er seinen Austritt aus der Bürgerschaftsfraktion der SPD bekannt und gründete mit drei weiteren Mitstreitern (Sabine Mönch-Kalina, Hans-Jürgen Leja und Michael Werner) die Für-Wismar-Fraktion. Weder trat er als Bürgerschaftspräsident zurück, noch legte er Bürgerschafts- und Landtagsmandat nieder. Alle vier wurden aus der SPD ausgeschlossen, der Widerspruch wurde Anfang März 2011 abgewiesen. Bis 2014 amtierte Gerd Zielenkiewitz, der 2019 ebenfalls wieder in die Wismarer Bürgerschaft gewählt wurde, als Bürgerschaftspräsident, wenngleich seine Hausmacht bei Weitem nicht die stärkste Fraktion war. Diese bildete immer noch die geschröpfte SPD, hauchdünn (ein Mandat) vor der CDU. Er wurde erst 2014 nach der Neuwahl der Bürgerschaft durch Tilo Gundlack abgelöst, der bis 2019 der Bürgerschaft vorstand und nun am offenbar durch die Für-Wismar-Fraktion organisierten Widerstand scheiterte.
Über die Motivation der Handelnden zu spekulieren, ist an dieser Stelle müßig und führt zu nichts. Dennoch steht fest, dass es sich bei der FWF prinzipiell noch um Fleisch vom Fleische der Wismarer SPD-Bürgerschaftsfraktion handelt. Darüber hinaus ist augenfällig, dass die beiden größten Coups seit der politischen Wende 1989/90 in der Hansestadt Wismar durch das machtpolitisch geschickte und offenkundig stark ergebnisorientierte Agieren der FWF zustandegebracht wurden. Das Spiel um den Thron in der Hansestadt ist somit in den letzten zehn Jahren deutlich spannender und schwerer zu prognostizieren geworden. Ein Fingerzeig politischer Winkelzüge für die nächsten Wahlen.