Nordwestmecklenburgischer Auftakt ins Superwahljahr

Wenngleich in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Jahr 2021 bereits richtungsweisende Landtagswahlen mit bundespolitischen Implikationen abgehalten wurden, bildet an diesem Wochenende eine Landratswahl für die Wahlberechtigten in Nordwestmecklenburg den Start in einen Wahlmarathon. Nach der Hauptwahl könnte es zwei Wochen später noch in die Stichwahl gehen. Diese kommunalpolitische Entscheidung ist ein erster Aufgalopp für die im September folgenden Landtags- und Bundestagswahl.

Historischer Vergleich
Im Nordwesten des Bindestrichbundeslandes steht zum siebenten Mal nach der politischen Wende der Jahre 1989-90 die Wahl des Landrates an. Leider ist es aufgrund struktureller Verwaltungsreformen nicht eins zu eins möglich, eine direkte Linie von 1990 bis ins Jahr 2021 zu ziehen, da das Einzugsgebiet des Kreises mehrfach Veränderungen unterworfen war. Der erste Landrat dieses Kreises, der aus anderen Kreisen oder Teilgebieten anderer Kreise gebildet wurde, war ab 1994 der Sozialdemokrat Udo Drefahl, welcher die Legislaturperiode zuvor dieses Amt im Landkreis Wismar innehatte. 2011 folgte eine weitere Kreisgebietsreform, die zur Schaffung diverser Großkreise in Mecklenburg-Vorpommern führte. Sechs Kreise entstanden, zwei Städte (Rostock und Schwerin) konnten ihre Kreisfreiheit bewahren: Mittelzentren, wie Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar, wurden den neuen Kreisen zugeordnet. Für Nordwestmecklenburg hatte dies die Stärkung der sozialdemokratischen Vormachtstellung zur Folge, da die Hansestadt Wismar, welche anhand der Geschichte freier und demokratischer Wahlen als rote Bastion des Nordwestens angesehen werden kann, nun zum neuen Großkreis zählte. Die bisherigen vier Amtsinhaber, neben Udo Drefahl (1994-2001) Erhard Bräuning (2001-2008), Birgit Hesse (2008–2014) und Kerstin Weiss (seit 2014) waren allesamt Sozialdemokraten.

Vierkampf
Wie knapp die Wahl werden wird, bleibt abzuwarten. Seit 2001 wurden vier Wahlen (2001, 2008, 2011, 2014) zur Ermittlung eines neuen Landrats für Nordwestmecklenburg durchgeführt. Zweimal reichte ein Wahlgang aus (weil lediglich zwei Bewerber konkurrierten), zweimal ging es in die Stichwahl. Die Gegenkandidaten, die es in die Stichwahl schafften (Dr. Erhard Huzel und Gerhard Rappen), wurden beide Mal von der CDU ins Rennen geschickt. Zweimal gab es von vornherein lediglich zwei Bewerber (2008 und 2011), einmal fünf (2001) und einmal sogar gleich sieben (2014). Beim diesjährigen Urnengang stellen sich vier Kandidaten zur Wahl. Neben der Amtsinhaberin Kerstin Weiss (55, SPD, Landrätin) bewerben sich Jörg Bendiks (29, Die Linke, Lehrer) Tino Schomann (33, CDU, Landwirt) und Timon Wilke (26, Piraten, Servicekraft) um das Amt. Auffällig ist, dass alle Opponenten auf die Karte Jugendlichkeit setzen. Keiner von ihnen ist vor 1987 geboren worden, während die SPD auf die arrivierte Amtsinhaberin mitsamt ihrer Erfahrung abzuzielen scheint. Neben dem Bonus des Amtsinhabers kann sie die strukturelle Bindung eines relativ großen Teils der Wählerschaft versuchen auszunutzen. Hinzu kommt, dass sie die einzige Frau im Bewerberfeld ist. Die CDU und Die Linke schicken frische Gesichter ins Rennen, um die Historie der Niederlagen vergessen zu machen. Hinzu kommt, dass Die Linke (oder ihre Vorgängerin PDS) bisher nie eine realistische Chance auf die Besetzung dieses Postens hatte und der Kreisverband der CDU durch die undurchsichtigen Verstrickungen der kürzlich verstorbenen Karin Strenz in die Aserbaidschan-Affäre, im Westen Mecklenburgs angeschlagen war. Die Piraten setzen ebenfalls auf einen jungen Mann, was insbesondere durch die Struktur ihrer Parteimitgliedschaft bedingt ist. Da die damals überraschenden und beachtlichen Wahlerfolge der Piraten mittlerweile auch fast eine Dekade zurückliegen, ist es eher unwahrscheinlich, dass ihr Kandidat am Wochenende massiv das Wahlergebnis beeinflusst. Wenngleich die CDU auf der einen Seite und Die Linke bzw. die Piratenpartei auf der anderen Seite des parteipolitischen Spektrums unterschiedliche Wählerschichten ansprechen, ist es nicht auszuschließen, dass ihr Ansatz des frischen Windes nicht im erhofften Maße verfängt, weil fast alle Parteien auf Erneuerung setzen. Lediglich die SPD zielt bei dieser Wahl auf Beständigkeit ab.

Corona-Pandemie
Da der Wahlkampf unter den Bedingungen der Corona-Pandemie durchgeführt werden musste, sind normale Maßstäbe nur schwer anzulegen. An Haustürwahlkampf war nicht zu denken, öffentliche Auftritte oder Reden waren praktisch unmöglich, Stammtischgespräche und Bürgersprechsunden waren ebenfalls keine Option. Lediglich die Plakate hingen länger. Zwar verlegten die Parteien und Kandidaten ihr Engagement in den Online-Bereich und erprobten neue Varianten, ob das jedoch reicht, um die jüngere Wählerschaft in erheblichem oder gar hinreichendem Maße zu mobilisieren, wird sich in wenigen Tagen zeigen. Die Wahlbeteiligung ist bei Kommunalwalen in Deutschland tendenziell geringer als bspw. bei Bundes- oder Landtagswahlen. Bei den letzten beiden Landratswahlen in Nordwestmecklenburg pendelte sich die Wahlbeteiligung bei der Hauptwahl in etwa um die 50-%-Marke ein, was kein schlechter Wert ist. Ob er 2021 erneut erreicht werden wird, darf momentan bezweifelt werden.

Bedeutung der Briefwahl
Wichtiger als sonst dürften in diesem Jahr die Briefwählerstimmen werden. Die Gemeindewahlbehörden rechnen ob der Corona-Bedingungen mit einem erhöhtem Aufkommen an Stimmen, welche per Briefwahl abgegeben werden. Möglicherweise meiden viele Bürger den direkten Kontakt im Wahllokal, zudem werden womöglich noch diverse Auflagen durch die Gesundheitsämter erlassen. Die bequeme und entpersonalisierte Briefwahl stellt hier eine valide Ersatzoption dar, wenngleich manche Bürger auch auf ihr Wahlrecht verzichten könnten, um den vermeintlich komplizierten Beantragungs- und Ablaufprozess einer Briefwahl zu vermeiden. Wie stark diese Phänomene auf die Wahl Einfluss nehmen, wird in den Parteizentralen sicherlich direkt analysiert, um bei den Landtags- und Bundestagswahlen im September die eigene Strategie auf diese Umstände optimal justieren zu können, sofern die Bedingungen im September noch mit denen des späten Aprils 2021 zu vergleichen sind. Das Testfeld Nordwestmecklenburg wird am Wochenende erste Erkenntnisse liefern.